Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer und Niederösterreichs Landeshauptfrau Mikl-Leitner sprechen von einer „Lifestyle-Teilzeit“, die dem Sozialstaat schade. Sie stellen damit hunderttausende Teilzeitkräfte unter Generalverdacht. Dass viele Menschen unfreiwillig in Teilzeit arbeiten – etwa wegen fehlender Kinderbetreuung oder Überlastung im Pflegebereich – wird dabei ausgeblendet. Gewerkschaften, Sozialorganisationen und die SPÖ Niederösterreich kritisieren die Aussagen scharf: Sie sehen darin einen Angriff auf jene, die ohnehin schon am Limit arbeiten. SPÖ-Landeschef Sven Hergovich fordert stattdessen konkrete Entlastungen wie den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsbetreuung.
Im aktuellen Bundesländervergleich liegt das Land auf Platz 2 der höchstverschuldeten Bundesländer. Besonders umstritten: der Verkauf von Wohnbaudarlehen an Banken – trotz erheblicher finanzieller Verluste für das Land. Die Kritik an der Maßnahme ist breit, doch anstatt Verantwortung zu übernehmen, kündigte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Sparmaßnahmen an. Die Bevölkerung müsse nun „den Gürtel enger schnallen“ – und „alle an einem Strang ziehen“, so Mikl-Leitner. Dabei sind viele der Haushaltsprobleme hausgemacht.
Mehr „Leistung“, weniger Teilzeit: Die umstrittenen Sparpläne der ÖVP
Mikl-Leitner will sparen – und nimmt dafür Teilzeitkräfte ins Visier. Wer weniger arbeite, solle auch weniger vom Sozialsystem bekommen, so die Landeshauptfrau. Doch der Generalverdacht gegen „Lifestyle-Teilzeit“ greift zu kurz: Viele reduzieren ihre Stunden nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Notwendigkeit – etwa wegen fehlender Kinderbetreuung oder Überlastung im Job. Statt Verantwortung für strukturelle Probleme zu übernehmen, schiebt die ÖVP sie jenen zu, die längst an der Belastungsgrenze arbeiten.
Lifestyle-Teilzeit: Mikl-Leitners Kritik trifft vor allem Frauen
Die Teilzeit-Debatte ins Rollen gebracht hatte zuvor bereits ÖVP-Sozialminister Wolfgang Hattmannsdorfer, der mit Aussagen über die vermeintliche „Teilzeitmentalität“ in Österreich für Kopfschütteln sorgte. In Interviews sprach auch er von einem besorgniserregenden Trend zur „Lifestyle-Teilzeit“ – also dem bewussten Verzicht auf Vollzeitarbeit ohne familiäre Verpflichtungen oder gesundheitliche Gründe. Er forderte einen „Wake-Up Call“ für Teilzeitkräfte und ein “Ende der Lifestyle-Teilzeit“.
Dass Teilzeitarbeitskräfte allerdings überwiegend Frauen sind, die oft zusätzlich die Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen übernehmen, blendet die ÖVP dabei aus.
Kritik an ÖVP: Teilzeit-Vorwürfe gehen am Kern der Probleme vorbei
Massive Kritik an den Aussagen Hattmannsdorfers und Mikl-Leitners kam zunächst von Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ). Er widersprach den Aussagen Hattmannsdorfers und stellte richtig, dass vor allem Frauen in Teilzeit oft mehr arbeiten wollen, aber durch fehlende Arbeitsbedingungen daran gehindert würden. Ziel müsse es deshalb sein, Teilzeit attraktiv und existenzsicher zu gestalten – anstatt Teilzeitangestellte pauschal zu diffamieren. Auch die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft GPA und Abgeordnete der SPÖ, Barbara Teiber, halte nichts von „Bestrafungsfantasien“. Vielmehr müsse es ermöglicht werden, Stunden aufzustocken. In vielen Branchen, etwa im Handel sowie in Pflege- und Gesundheitsberufen, sei oft nur Teilzeitarbeit möglich.
SPÖ-Hergovich: Frauen verdienen „Dank anstatt Beschimpfungen“
Ähnlich sieht das SPÖ Niederösterreich-Vorsitzender, Kontroll-Landesrat Sven Hergovich. „Wer Teilzeit arbeitet und Kinder betreut, hält das Land am Laufen und verdient Dank anstatt Beschimpfungen“, zeigt er sich in einer aktuellen Presseaussendung empört.
>In Niederösterreich arbeiten über 40 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit, bei den Frauen sogar 65 Prozent, wie die Arbeiterkammer Niederösterreich in einer Studie gezeigt hat. Viele würden gerne mehr arbeiten, können es aber nicht – wegen fehlender Kinderbetreuung, unflexibler Arbeitszeiten oder mangelnder Vollzeitstellen.
„Statt diese Menschen zu beschimpfen, braucht es echte Verbesserungen“, so Hergovich, der die schwarz-blaue Landeskoalition gefordert sieht:
„Die SPÖ NÖ fordert einen flächendeckenden Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung und einen 50 % Überstundenzuschlag für Teilzeitkräfte, damit Unternehmen keinen finanziellen Anreiz mehr haben, Teilzeitkräften Vollzeitstellen zu verwehren. Außerdem muss der Kindergarten endlich auch am Nachmittag kostenlos werden, so wie es in allen rot regierten Bundesländern längst Realität ist. Das würde Familien entlasten und echte Wahlfreiheit schaffen.“
„Frauen haben es weder verdient, von Landeshauptfrau Mikl-Leitner ausgerichtet zu bekommen, dass Teilzeitarbeit asozial ist, noch brauchen sie die Beschimpfungen des Wirtschaftsministers“, betont Hergovich.
Pflegekräfte am Limit
Wer in der Pflege Teilzeit arbeitet, tut das selten freiwillig. Es sind nicht Work-Life-Balance oder persönliche Vorlieben, die den Ausschlag geben, sondern Überlastung im Arbeitsalltag.
Wenn eine Altenpflegerin nach einer 24-Stunden-Schicht erschöpft nach Hause komme und ihre Arbeit auf Teilzeit reduziert, um überhaupt weitermachen zu können, dann habe das nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sondern mit Überlastung, stellt SPÖ-Landtagsabgeordneter Rene Pfister in einer aktuellen Presseaussendung klar. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, die im Pflegebereich täglich alles geben, wenn Landeshauptfrau Mikl-Leitner ihnen pauschal vorwirft, dass sie ‚asozial‘ sind“, betont Pfister.
„Wer die Realität der Pflege ignoriert, riskiert nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern spielt mit der Versorgungssicherheit ganzer Regionen“, warnt Pfister und fordert eine Entschuldigung von Johanna Mikl-Leitner: „Wenn jemand Menschen, insbesondere Mütter, völlig ungerechtfertigt als ‚asozial‘ bezeichnet, dann ist eine Entschuldigung das Mindeste, was man erwarten kann!“
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