Im Jahr 2020 wurde in Niederösterreich die Jobgarantie „MAGMA“ ins Leben gerufen, um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Projekt war ein Erfolg: Über 100 Menschen erhielten einen garantierten Arbeitsplatz. Trotz erwiesener positiver Effekte und internationaler Anerkennung wurde das Projekt in Niederösterreich nicht weitergeführt. Was bleibt vom Modellversuch und wie geht es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern heute?
Marienthal-Studie als historisches Vorbild
Gramatneusiedl wurde als Projektort für das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal (MAGMA) nicht zufällig gewählt: Bereits 1933 erlangte die Gemeinde durch die berühmte Marienthal-Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ weltweite Bekanntheit. Damals dokumentierte ein Team aus Forscherinnen und Forschern, wie der Verlust der Arbeit zur Apathie, Resignation, sozialem Rückzug und gesundheitlichen Schäden führte.
Fast 90 Jahre nachdem die berühmte Studie von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel erschien, sollte in Gramatneusiedl praktisch umgesetzt werden, was in der Studie einst erarbeitet wurde. Denn wie die Studie damals belegte, wollen Menschen grundsätzlich arbeiten, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt und faire Rahmenbedingungen schafft.
Das Projekt MAGMA: Jobgarantie statt Arbeitslosigkeit
Im Jahr 2020 initiierte Sven Hergovich als damaliger AMS-Chef in Niederösterreich das Projekt unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Wien und der Oxford University. Die Grundidee: Jede Person, die länger als ein Jahr arbeitslos war, erhielt einen garantierten Job zu kollektivvertraglichen Bedingungen. Fand sich am regulären Markt kein Arbeitsplatz, wurde er vom AMS geschaffen. Die Tätigkeiten waren gemeinnützig und kamen direkt der Region zugute – von Grünraumpflege über Jugendarbeit bis zur Altersbegleitung.
Insgesamt nahmen über 100 Personen am Projekt teil. Der Einstieg erfolgte über ein Erstgespräch, gefolgt von einer achtwöchigen Vorbereitungsphase mit Qualifizierungs- und Bewerbungsunterstützung. Kam es zu einer Anstellung durch das Projekt, förderte das AMS das Gehalt in den ersten drei Monaten, danach bis zu neun Monate lang zu zwei Dritteln. In den neuen Jobs verdienen die ehemaligen Langzeitarbeitslosen dann im Schnitt bis zu 370 Euro mehr pro Monat als zuvor mit Arbeitslosengeld.
Vom Schuhverkäufer zum Facility Manager: Teilnehmer Karl Blaha blickt positiv auf das Projekt zurück
Einer der teilnehmenden Personen war Karl Blaha. Nach dem Aus seines Schuhgeschäftes im Stadtzentrum war er ein Jahr arbeitslos. Durch die Jobgarantie fand er eine Stelle als Facility Manager in einem Logistikunternehmen. Wie ist es ihm nach Projektende ergangen und arbeitet er immer noch im Betrieb? NÖ Aktuell hat nachgefragt.
Bis heute ist Karl Blaha in seiner damals vermittelten Arbeitsstelle tätig. Im Gespräch mit NÖ Aktuell blickt er insgesamt sehr positiv auf das Projekt zurück:
„Das Programm war gut aufgebaut und umgesetzt. Das Verständigen, die Kommunikation miteinander und das Vermitteln haben hervorragend funktioniert“, lobt Karl Blaha Projekt MAGMA.
Von den Fähigkeiten und Routinen, die Blaha im Zuge der Jobgarantie erlernt hat, profitiert er noch heute. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm die Organisation während des Projekts und der rege Austausch mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Alle teilnehmenden Personen konnten voneinander lernen und sich persönlich einbringen.

Zufriedenheit durch finanzielle Absicherung
Die wissenschaftliche Begleitstudie „Marienthal.reserved“ unter der Leitung des Soziologen Jörg Flecker (Universität Wien) zeigt, wie stark sich die Jobgarantie auf das Leben Teilnehmender ausgewirkt hat. Menschen, die sich zuvor als „zu alt“ oder „zu teuer“ empfunden hatten, wurden zufriedener, finanziell abgesichert und gewannen neues Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Sie erhielten eine echte Perspektive anstatt reiner Betreuung. Viele Teilnehmende wurden auch in ihrer Freizeit aktiver und entwickelten neue soziale Kontakte. Insgesamt stiegen Selbstwertgefühl und soziale Sicherheit, Personen wurden psychosozial stabiler sowie stressresistenter. Die Jobgarantie wirkte damit nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern nachhaltig auf die Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen.
Politischer Stopp: Projekt endet trotz Erfolg
Trotz der Erfolge wurde das Projekt MAGMA nicht verlängert. Nach der Landtagswahl 2023 forderte die SPÖ-Niederösterreich eine Ausweitung des Projekts auf weitere Gemeinden. Die ÖVP-geführte Landesregierung lehnte den Vorschlag ab. Im März 2024 gab die schwarz-blaue Landeskoalition das offizielle Auslaufen des Projekts bekannt – ohne konkrete Begründung. Seit April 2024 gibt es mit dem „Jobwerk“ ein eigenes Beschäftigungsprogramm, jedoch ohne feste Garantie auf einen Arbeitsplatz.
Karl Blaha verfolgt diese Entwicklung mit Sorge. Er sieht die Politik in der Verantwortung, positive Rahmenbedingungen zu schaffen, um langfristige Effekte zu erzielen.
„Der Abbruch ist eine verpasste Chance“, zeigt sich auch Karl Blaha enttäuscht.
Häufige Kritikpunkte: Kosten und verdrängte Arbeitsplätze
Die Projektkosten zählten zu den häufigsten Kritikpunkten des Projekts. Dabei belegen offizielle Angaben, dass Arbeitslosigkeit teurer ist als ein Beschäftigungsprojekt nach Vorbild der Jobgarantie.
Laut AMS betragen die Ausgaben für einen langzeitarbeitslosen Menschen inklusive Arbeitslosengeld, Schulungen, Beratungen sowie entgangene Steuern und Beiträge im Schnitt rund 30.000 Euro pro Jahr. Die Kosten pro MAGMA-Teilnehmende lagen mit etwa 29.000 Euro leicht darunter. Ein Teil dieser Kosten floss in Form von Lohnsteuer und Sozialversicherung wieder an den Staat zurück. Trotzdem bezeichnete der AMS-Chef Johannes Kopf das Projekt mit Gesamtkosten von rund 7,4 Millionen Euro als „zu teuer“.
Die Befürchtung, dass reguläre Arbeitsplätze durch Beschäftigungsprojekte verdrängt würden, bestätigte sich ebenfalls nicht. Weil die Jobs neu geschaffen wurden, sank die Arbeitslosigkeit insgesamt.
MAGMA bleibt internationales Vorbild
Während das Projekt in Niederösterreich endete, wächst das internationale Interesse weiter. Im Jahr 2023 wurde das Projekt in Warschau mit dem „Innovation in Politics Award“ ausgezeichnet. Die EU, die OECD und die UNO empfehlen Arbeitsplatzgarantien als wirksames Instrument gegen Langzeitarbeitslosigkeit. In Ländern wie Belgien, Niederlanden, Deutschland oder Italien laufen bereits entsprechende Programme – in Frankreich mittlerweile sogar in jeder zweiten Region.
Gleichzeitig setzt Österreich verstärkt auf intensivere Kontrolle der Jobsuchenden. Eine Studie aus dem Jahr 2023 im „Journal of Public Economics“ zeigt jedoch, dass strengeres Job-Such-Monitoring keine schnellere Vermittlung bringt, sondern dazu führt, dass sich Menschen gar nicht mehr arbeitslos melden. Wie auch schon „MAGMA“ zeigt dies: nicht Kontrolle, sondern Sicherheit, Perspektive und echte Arbeit führen nachhaltig zurück in Beschäftigung.
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