Das Projekt der Arbeitsplatzgarantie in Gramatneusiedl ermöglichte Langzeitarbeitslosen durch flexible Beschäftigung finanzielle Stabilität und soziale Integration. Trotz erheblicher Verbesserungen der Lebensbedingungen für Teilnehmende und regionale Wirtschaft wurde das international anerkannte Modell zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit nach vier Jahren beendet.
Das „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ in Gramatneusiedl wurde von Oktober 2020 bis April 2024 durchgeführt. Es bot allen Langzeitarbeitslosen der Region eine staatlich geförderte Beschäftigung. Unter der Leitung von Sven Hergovich, dem damaligen Chef des AMS Niederösterreich und jetzigem Chef der SPÖ Niederösterreich, zielte das Projekt darauf ab, eine Alternative zur herkömmlichen Arbeitslosenunterstützung zu schaffen. So wurde Menschen in einer strukturschwachen Region eine langfristige Beschäftigungsperspektive geboten. Die Idee war es, dass alle arbeitsfähigen Bürgerinnen und Bürgern, die länger als ein Jahr ohne Arbeit waren, einen Job bekamen – unabhängig von ihrer Qualifikation oder ihrem Gesundheitszustand. Insgesamt nahmen 112 Personen am Projekt teil.
Diese Jobs umfassten Tätigkeiten wie Gebäuderenovierungen, Grünraumpflege, Büroarbeiten oder handwerkliche Tätigkeiten. Ziel war es, den Teilnehmenden nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch ein geregeltes Einkommen, soziale Anerkennung und psychische Stabilität zu bieten. Vor allem bei Langzeitarbeitslosen, die über Jahre am Rand der Gesellschaft standen, versprach dies eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität.
Das Projekt war Teil eines größeren internationalen Diskurses über Arbeitslosigkeit und Beschäftigungsgarantien. Es wurde als „Modellprojekt“ betrachtet, das theoretische Diskussionen über die Notwendigkeit eines sozialen Auffangnetzes für Arbeitslose in die Praxis umsetzte. Der Fokus lag auf der Frage, ob eine garantierte Beschäftigung tatsächlich die Lebenssituation der Menschen langfristig verbessert und welche Auswirkungen dies auf die lokale Wirtschaft hat.
Das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie in Gramatneusiedl
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts berichteten von erheblichen Verbesserungen in ihrem finanziellen und psychischen Wohlbefinden. Vor Beginn des Projekts waren 68 Prozent der Langzeitarbeitslosen nicht in der Lage, Geld zu sparen, und mehr als ein Viertel von ihnen litt unter ständigen finanziellen Sorgen. Nach zwei Jahren im Projekt hatte sich die finanzielle Lage der meisten deutlich stabilisiert: Die Hälfte konnte Rücklagen bilden, und niemand hatte mehr schwere finanzielle Ängste. Dies deutet darauf hin, dass das gesicherte Einkommen und die festen Arbeitsverhältnisse eine unmittelbare Entlastung brachten.
Doch nicht nur die finanzielle Lage verbesserte sich. Viele der ehemaligen Langzeitarbeitslosen berichteten von einer deutlichen Besserung ihres psychischen Wohlbefindens. Vor allem Symptome wie Angstzustände, Schlafstörungen, aber auch körperliche Beschwerden wie Übelkeit und Hautprobleme gingen spürbar zurück. Dies führten die Forscherinnen und Forscher auf die stabilen Arbeitsbedingungen und die Rücksichtnahme auf gesundheitliche Einschränkungen zurück. Die flexible Gestaltung der Arbeitszeiten ermöglichte es vielen, ihre gesundheitlichen Probleme in den Griff zu bekommen und gleichzeitig am Arbeitsleben teilzuhaben.
Die soziale Integration in der Gesellschaft verbesserte sich ebenfalls. Langzeitarbeitslose, die zuvor oft isoliert waren und sich ausgegrenzt fühlten, wurden durch die Arbeit in einem Team wieder Teil der Gemeinde. Die tägliche Interaktion mit Kolleginnen und Kollegen, die Möglichkeit, sich weiterzubilden, und das Gefühl, gebraucht zu werden, stärkten das Selbstwertgefühl. Es zeigte sich, dass Arbeit nicht nur eine wirtschaftliche Funktion hat, sondern auch eine wichtige soziale Komponente darstellt.
Ergebnisse und Auswirkungen auf die Region
Die positiven Effekte des Projekts zeigten sich nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf regionaler Ebene. Die Arbeitslosigkeit in Gramatneusiedl sank um insgesamt 60 Prozent, was darauf hinwies, dass das Projekt tatsächlich dazu beitrug, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Interessanterweise führte die Beschäftigungsgarantie nicht dazu, dass bestehende Arbeitsplätze verdrängt wurden. Stattdessen schuf das Projekt neue Jobs, die auf die Bedürfnisse der Region zugeschnitten waren. Dies ist besonders bemerkenswert, da oft die Sorge besteht, dass subventionierte Arbeitsplätze private Unternehmen aus dem Markt drängen könnten.
Die lokale Wirtschaft profitierte ebenfalls von dem Projekt. Die gestiegenen Einkommen der Teilnehmer:innen führten zu einer höheren Kaufkraft, was wiederum den lokalen Handel stärkte. Es zeigte sich, dass staatlich geförderte Arbeitsplätze eine Art Multiplikatoreffekt auf die Region haben können: Mehr Geld in den Taschen der Bevölkerung bedeutet mehr Konsum, und das kommt letztlich auch der Wirtschaft zugute. Das Modellprojekt widerlegte damit die Kritik, dass solche Projekte nur kurzfristige Effekte hätten oder ineffizient seien.
Politische Entscheidung beendete das Projekt
Trotz des offensichtlichen Erfolgs wurde das Projekt nach vier Jahren beendet. Die österreichische Regierung entschied sich, die Finanzierung für das Projekt gegen Arbeitslosigkeit nicht weiterzuführen, obwohl die Ergebnisse für die Region und die Menschen eindeutig positiv waren. Viele Teilnehmende sowie lokale Politikerinnen und Politiker äußerten ihr Bedauern über diese Entscheidung. Regierungskritiker argumentierten, dass das Projekt nicht aus finanziellen Gründen gestoppt wurde, sondern weil es nicht in die politische Agenda der Regierung passte.
Sven Hergovich, der Initiator der Arbeitsplatzgarantie, betont, dass die positiven Effekte nicht ignoriert werden sollten. Er verwies auf die internationale Anerkennung, die das Projekt erhielt, und darauf, dass ähnliche Modelle zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit in anderen Ländern – wie Frankreich und Belgien – bereits auf dem Konzept aufbauen. In Österreich blieb das Projekt jedoch umstritten. Gegnerinnen und Gegner argumentierten, dass es langfristig zu teuer sei, während Befürworterinnen und Befürworter auf die enormen Einsparungen durch die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit hinwiesen.
„Arbeitslosigkeit macht enorme Kosten und das nicht nur direkt, sondern auch indirekt, beispielsweise durch steigende Gesundheitskosten oder durch die damit einhergehenden sozialen Spannungen.“
Sven Hergovich, SPÖ Niederösterreich
Fazit: Ein Meilenstein in der Arbeitsmarktpolitik
Das Projekt fand nicht nur in Österreich, sondern auch international Beachtung. Es wurde als innovatives Arbeitsmarktinstrument angesehen und diente als Vorbild für ähnliche Initiativen in anderen Ländern. In Frankreich und Belgien werden bereits Pilotprojekte durchgeführt, die sich an den Erfahrungen in Gramatneusiedl orientieren. Auch die EU zeigte Interesse an dem Modell. Es wird diskutiert, ob eine solche Beschäftigungsgarantie in Krisenzeiten als Instrument gegen Massenarbeitslosigkeit eingesetzt werden könnte.
Langfristig könnte das Projekt als Beispiel für eine neue Form der Arbeitsmarktpolitik dienen, die nicht nur auf kurzfristige Effekte gegen Arbeitslosigkeit abzielt, sondern auch die sozialen und psychischen Aspekte der Arbeit berücksichtigt. Es zeigt, dass Arbeit mehr ist als nur eine Einkommensquelle – sie kann den Menschen Würde, Stabilität und soziale Teilhabe geben. Obwohl das Projekt in Österreich gestoppt wurde, bleibt es ein wichtiger Meilenstein in der Debatte über die Zukunft der Arbeitswelt.