Wiener Neustadt war jahrzehntelang SPÖ-Hochburg. Das änderte sich 2015. Bei der Wahl verliert die SPÖ die absolute Mehrheit in Wiener Neustadt, bleibt aber klar Nummer 1. Die ÖVP nutzt aber ihre enge Beziehung zur schwarzen Landesregierung, um ein Gesetz zu bekommen, mit dem sie der erstplatzierten SPÖ den Bürgermeister-Sessel wegnimmt. Damals mittendrin: der Vizebürgermeister und heutiger ÖVP-Chef Christian Stocker.
Wiener Neustadt war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine rote Hochburg im tiefschwarzen Niederösterreich. 2015 verliert die SPÖ jedoch den Bürgermeister-Sessel. Bei der Gemeinderatswahl kann sie zwar ihre absolute Mehrheit nicht halten, bleibt aber mit Abstand die stärkste Kraft in der Stadt. Die ÖVP nutzt jedoch ein Gesetz, das sie für diesen Fall extra von der schwarzen Landesregierung ändern ließen, um den Wählerwillen zu umgehen und sich selbst zum Bürgermeister zu machen.
Mit von der Partie: die FPÖ, zwei kleinere Bürgerlisten und die Grünen, die das Patt nicht nur möglich gemacht haben, sondern später auch noch mit FPÖVP mitregieren. Der langjährige Bürgermeister Bernhard Müller (SPÖ) muss trotz erfolgreichem Wahlergebnis und Stimmenvorsprung zur ÖVP zurücktreten. Stocker wird vom zweiten zum ersten Vizebürgermeister der Stadt.
ÖVP Wiener Neustadt legt Grundstein für Schwarz-Blau
Aus politischen Kreisen in Wiener Neustadt hört man noch mehr. Stocker, der seit dem Jahr 2000 zweiter Vizebürgermeister in Wr. Neustadt war, verband ein persönliches Verhältnis zum damaligen SPÖ-Bürgermeister Bernhard Müller. Von Grillpartys und Abenden mit den Familien berichtet die NeueZeit aus anonymen Quellen aus dem Wr. Neustädter Politmilieu. Nichtsdestotrotz hält dieses persönliche Verhältnis Stocker nicht davon ab, Müller im Stadtrat sprichwörtlich ins Messer laufen zu lassen.
Und das tut er: Nach der Wahl tritt, wie nach jeder vorherigen Wahl in Neustadt, der Stadtsenat zusammen. Aber 2015 kommt es anders. Die SPÖ hat 6 Prozent Vorsprung auf die damals zweitplatzierte ÖVP. Dennoch mussten die Sozialdemokraten Stimmenverluste bei ihren Wählerinnen und Wählern hinnehmen. Das führt dazu, dass die SPÖ im Stadtsenat keine eigene Mehrheit mehr zustande bringt.
Christian Stocker: „Anlassbezogene Gesetzgebung“ macht ÖVP zur Bürgermeister-Partei
Die ÖVP Wiener Neustadt nutzt das aus, lobbyiert bei der ÖVP auf Landesebene und bestellt sich ein „Lex Wiener Neustadt“ – ein Gesetz, das nur für diesen Anlass geändert wird. Dieses besagt, dass der Vizebürgermeister bei Stimmengleichheit das letzte Wort im Stadtsenat hat. So gelingt es der ÖVP an der SPÖ, die eigentlich die Wahl gewonnen hat, vorbeizuregieren. Besagter Vizebürgermeister war Christian Stocker.
Wiener Neustädter Werk bringt Aufstieg für Stocker
Stocker hat dieses Vorgehen scheinbar nicht geschadet. Im Gegenteil: Er stieg in den Rängen der ÖVP auf und wurde im Jänner 2025 zum neuen ÖVP-Chef, nachdem Karl Nehammer wegen der Koalitionsverhandlungen mit Herbert Kickl und der FPÖ zurückgetreten ist.
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