Noch vor wenigen Jahren galt die private Photovoltaikanlage als Vorzeigeprojekt der Energiewende. Wer in eine eigene Anlage investierte, produzierte nachhaltigen Strom und konnte sich über eine faire Einspeisevergütung freuen. Besonders attraktiv war der sogenannte EVN 1:1 Tarif: Jede Kilowattstunde, die ins Netz eingespeist wurde, wurde mit dem gleichen Preis vergütet, den man selbst für Strombezug zahlte. Doch diese Zeiten sind vorbei – zumindest bei der EVN. Mit dem neuen Tarifmodell „SonnenStromMonat“ führt Niederösterreichs größter Energieversorger eine marktabhängige Einspeisevergütung ein. Die neuen Preise schwanken monatlich und liegen oft deutlich unter dem Bezugspreis. Für Kundinnen und Kunden bedeutet das: geringere Einnahmen für eingespeisten Strom. Haushalten, die nicht rechtzeitig reagieren, droht die EVN mit Stromabschaltung.
EVN kündigt 1:1-Tarif – und kappt Strom bei Vertragsstillstand
Der größte Energieversorger Niederösterreichs verabschiedet sich von der 1:1-Vergütung und ersetzt sie durch eine „marktorientierte“ Einspeisevergütung, die sich monatlich ändern kann – abhängig vom Börsenpreis. Wer zu Mittag also Sonnenstrom ins Netz einspeist, erhält dafür in Zukunft nur noch wenige Cent pro Kilowattstunde – während Strom zu den Verbrauchsspitzen am Abend ein Vielfaches kostet. Die Differenz geht auf Kosten der Kund:innen und Kunden. Die EVN nennt das „marktkonform“ – viele PV-Besitzer:innen empfinden es als ungerecht und wirtschaftlich bedrohlich.
Besonders ärgerlich für viele Kundinnen und Kunden ist die Tatsache, dass der Tarifwechsel nicht automatisch mit einer langfristigen Übergangsregel erfolgt, sondern im Zuge von Vertragsabläufen. Betroffene erhalten ein Schreiben und müssen sich binnen kurzer Zeit für den neuen Tarif entscheiden. Wer nicht rechtzeitig auf die neuen Tarife reagiert, dem droht die Abschaltung der gesamten Stromanlage – eine Maßnahme, die zwar rechtlich vorgeschrieben ist, aber bei den Kunden auf Unverständnis stößt.
Plötzlicher Kurswechsel: EVN verschiebt Verantwortung
In ihrer Begründung verweist die EVN auf den rasanten Zuwachs an PV-Anlagen in Niederösterreich. Mehr als 120.000 Anlagen würden bereits ins Netz einspeisen – das entspreche rechnerisch dem Doppelten der vier Donau-Wasserkraftwerke im Bundesland, so das Unternehmen. Die Folge sei ein Überangebot zu bestimmten Zeiten, das den Strompreis drückt.
Was dabei untergeht: Diese Entwicklung war absehbar – und politisch gewünscht. Noch vor wenigen Jahren wurden Investitionen in PV großzügig gefördert. Nun, da die Netze voll und die Preise instabil sind, wird die Verantwortung den Betreiber:innen und Besitzern der PV-Anlagen aufgeladen. Die Lösung? Eigenverbrauch maximieren, das empfiehlt zumindest die EVN. Oder einen Speicher anschaffen – mit einem Gutschein von 300 Euro als Trostpflaster.
EVN: Hohe Gewinne dank Rekordpreisen
Ein Blick auf die Rekordgewinne der letzten Jahre zeigt: Die EVN hat wirtschaftlich kaum Grund, bei ihren Kund:innen und Kunden zu sparen. Ganz im Gegenteil: Im Geschäftsjahr 2023/2024 erzielte die EVN sogar Rekordgewinne. Im Dezember 2024 erwartete das Unternehmen zusätzliche Einnahmen von rund 500 Millionen Euro. Das liegt unter anderem daran, dass die Strom- und Gastarife der EVN deutlich teurer waren als jene anderer Anbieter. Dass nun auch die Tarife für Sonnenstrom zum Nachteil der Kundinnen und Kunden verändert werden, ruft nicht nur bei Betroffenen Ärger hervor.
Auch der SPÖ-Landtagsabgeordnete Rene Pfister zeigt sich über die Entwicklungen empört: „Ein Landesenergieversorger, der jährlich Rekordgewinne einfährt, darf Bürger nicht mit Netzabschaltungen bedrohen, nur weil er den Hals nicht voll bekommt. Die EVN baut eine Drohkulisse auf, um ihre eigenen Bedingungen durchzusetzen – das ist inakzeptabel!“
Von der schwarz-blauen Landeskoalition fordert Pfister sofortiges Eingreifen:
„Dass ÖVP und FPÖ weiterhin tatenlos zuschauen, ist ein politisches Totalversagen. Die EVN gehört mehrheitlich dem Land – also liegt die Verantwortung direkt bei Mikl-Leitner und Landbauer. Derartige Vorgänge sind absolut unzumutbar und nicht zu akzeptieren! Die EVN muss für leistbare Energie stehen, nicht für Gewinnmaximierung auf Kosten der Haushalte!“
Keine Übergangsregeln, keine Planungssicherheit
Fest steht: Wer plant, künftig in PV zu investieren, muss nun ganz anders kalkulieren als noch vor ein oder zwei Jahren. Durch die Abschaffung des 1:1-Tarifs und die Einführung einer marktabhängigen Vergütung wird es deutlich länger dauern, bis sich die Investition in eine private Photovoltaikanlage amortisiert. Gleichzeitig bleibt unklar, wie sich der neue Tarif „SonnenStromMonat“ langfristig entwickelt. Ein transparenter Mindestpreis oder eine Preisuntergrenze fehlen. Was als faire Beteiligung an einem gemeinsamen Energiesystem begann, entwickelt sich für viele zur unsicheren Wette auf instabile Strommärkte.
Die Energiewende darf kein Einbahnmodell sein
Wenn große Energieversorger wie die EVN ihre Tarifsysteme ändern und rein betriebswirtschaftlich argumentieren, ist das gesellschaftspolitisch problematisch. Viele Haushalte haben in Photovoltaikanlagen investiert, oft mit langem Planungshorizont und auf Basis eines fairen Einspeisetarifs. Die Abkehr vom 1:1-Modell bedeutet für sie nicht nur sinkende Einnahmen, sondern auch eine verzögerte Amortisation ihrer Investitionen. Statt Unsicherheit und finanziellem Druck für Verbraucherinnen und Verbraucher braucht es Verlässlichkeit und transparente Rahmenbedingungen. Mit der Abschaffung des EVN 1:1 Tarifs verliert eines der kundenfreundlichsten Modelle der vergangenen Jahre an Bedeutung – und viele PV-Betreiber:innen müssen ihr Rechenmodell neu aufstellen.
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